Zweite Klasse?

Umsichtig und besonnen? Das klingt nach Abwarten! Das kenne ich doch, wird sich der eine oder andere gesetzlich Versicherte denken! Immer, wenn ich zu meinem Hausarzt gehe, dann macht der eigentlich nichts. Dabei möchte ich mal so richtig durchgecheckt werden! Das liegt bestimmt daran, dass ich bei „der Gesetzlichen“ bin. Mal wieder „Zweite Klasse“?

Und die Privatpatienten? Es ist natürlich die Pflicht eines jeden Arztes alle seine Patienten mit gleicher Sorgfalt zu behandeln. Ungeachtet ihrer Herkunft, ihres sozialen Status, ihres Alters oder Geschlechts. Und ja, hier darf man einen Finger in die Wunde legen, auch ungeachtet ihres Versichertenstatus. Es besteht der begründete Verdacht, dass Privatpatienten schneller Termine bei Ärzten bekommen. Ist das zu vorsichtig formuliert? Auch werden bei ihnen schneller diagnostische Verfahren angewendet und Therapien durchgeführt. Das möchte kein einzelner Arzt zugeben, doch die Realität lässt sich wohl nicht leugnen, oder?

Doch begründen diese Sachverhalte, dass wir uns in einer Zweiklassen-Medizin bewegen? Sind Privatpatienten deshalb besser behandelt? Sind sie gesünder?

Die Versuchung für den „Mensch Arzt“ bei diagnostischen Maßnahmen auch monetäre Aspekte im Hinterkopf zu tragen ist groß. Zu einfach ist es mitunter, dem Druck des Patienten nachzugeben, der sich vor allem dann gut versorgt wähnt, wenn möglichst viel in möglichst kurzer Zeit untersucht wird. Zu anstrengend ist es häufig für einen Arzt im Alltag die Fallstricke der Überdiagnostik erklären zu müssen. Und die Augen vor der Gefahr von Überdiagnostik zu verschließen, fällt keinesfalls nur Patienten, sondern auch Ärzten ziemlich leicht.

Doch gilt es abzuwägen, welche Diagnostik überhaupt sinnvoll ist. Vordergründig könnte man doch denken: viel hilft viel! Warum nicht möglichst viel untersuchen? Dann werde ich schon auf die richtige Diagnose kommen!

Es besteht hier ein deutliches Missverständnis in der öffentlichen Meinung! Und auch die Politik suggeriert - dem „Gerechtigkeitsgedanken“ folgend – leider allzu häufig, dass derjenige besser dran ist, der einen schnelleren Termin ergattert und bei dem viel Diagnostik betrieben wird.

Doch wird die Qualität der Medizin in den meisten Bereichen nicht in Geschwindigkeit bemessen. Die wirklich relevanten Maßzahlen heißen Mortalität und Morbidität! Also vereinfacht: Todes- und Komplikationsraten durch bestimmte Erkrankungen. Mortalität und Morbidität sind zwar vom sozialen Status abhängig. Theorien hierzu beinhalten zum Beispiel den Zugang zu Bildung und die hierdurch vermittelte Wahrnehmung von Gesundheitsfragen. Oder auch die Vermittlung der präventiven Bedeutung von Ernährung und Bewegung. Es ist aber hingegen anzunehmen, dass gesetzlich versicherte Patienten in Deutschland allein aufgrund des Versichertenstatus nicht schlechter dran sind, als privat Versicherte. Viel mehr unterliegen Entscheidungsgrundlagen für gesetzlich Versicherte einer standardisierten Kontrolle, die natürlich das Wirtschaftlichkeitsgebot sicherstellen soll, aber eben auch den Nutzen überprüft. Man darf hier sogar behaupten, das - nicht immer, aber häufig - Wirtschaftlichkeit und Nutzen sich in einem öffentlichen und ethisch hinterfragten Gesundheitssystem gegenseitig bedingen. Es gibt bei uns sogar Instanzen, die diese Kontrolle per gesetzlicher Regelung sicherstellen sollen und dabei – soweit darf man gehen – sehr gute Arbeit machen.

Sicher, die Bürokratie ist manchmal schwer auszuhalten. Und ganz sicher krankt unser System auch an der sich immer weiter verstrickenden Komplexität im Zugang. Immer wieder werden wir Fallbeispiele hören, bei denen es durch eine unnötige und unverhältnismäßige Verzögerung bei der Terminvergabe für einen gesetzlich versicherten Patienten zu einem vermeidbaren gesundheitlichen Problem gekommen ist. Doch dabei verhält es sich wie mit der Wissenschaft. Ein Fallbeispiel macht keine Studie. Der Einzelfall, so tragisch auch wahrgenommen, begründet nicht das Versagen des Systems.

 

Dem Hausarzt kommt hier eine wichtige Rolle zu. Im positiven Sinne wird er zu einem „Gatekeeper“. Er verwehrt dabei aber nicht den Zugang zu einer einzelnen Tür. Nein, er gewährt den Zugang zur richtigen Tür von vielen.