Jetzt mal ehrlich!

Müssen Ärztinnen und Ärzte mit ihren Patienten ehrlich sein? Selbstverständlich! Was für eine Frage! Doch ist es nicht ein Schnitt ins eigene Fleisch, schonungslos zu benennen, was keinen Nutzen bringt? Zumal doch jeder schon mal vom Placebo-Effekt gehört hat. Und zumal der Patient vielleicht selbst schon einen solchen Weg beschreitet! Oder andersherum: ist es unethisch, den Nutzen einer Therapie - sagen wir - zu suggerieren, wenn für diese kein Beweis einer Wirkung erbracht wurde?

Die Wahrheit liegt - wie so oft - in der Mitte. Eine Mitte, die sich gar nicht so recht definieren lässt. Zu sehr ist diese Mitte auch durch Bauchgefühl und Kommunikation geprägt. 

Denn was biete ich an, wenn ich eigentlich nichts anzubieten habe? Manchmal fühlen sich Ärzte "genötigt" etwas anzubieten. Es mag die Erwartung von Patienten sein, die Ärzte gelegentlich im Behandlungsalltag umtreibt. So sehr, dass sie auch mal eine Erwartung annehmen, wo vielleicht keine ist. Und dass sie auch mal eine Erwartung "bedienen", obwohl sie vielleicht selbst einen anderen Weg beschritten hätten. 

Vielleicht müssten Ärzte es öfters aushalten, die Unzufriedenheit eines Patienten zu ertragen, wenn sie aus Überzeugung eine „aktionistische Behandlung“ vorenthalten haben. Vielleicht müssen sie es auch mal aushalten, einen Patienten zu vergrämen, wenn sie ihre Ideale in der Behandlung nicht verlassen wollen. Was aber im Bereich des ethisch vertretbaren liegt, ist, dass Ärztinnen und Ärzte das Recht haben, sich nicht zu ereifern. Das klingt zunächst kompliziert, heißt aber nur, dass sie nicht partout gegen einen vom Patienten eingeschrittenen Weg argumentieren müssen. Auch dann nicht, wenn er diametral ihrer Überzeugung entgegensteht, aber eben „primum non nocere“ geltend gemacht werden kann.

Und der Spruch geht ja noch weiter: „secundum cavere“ heißt „zweitens vorsichtig sein“! Das muss nicht nur heißen, dass ich bloß nichts verpassen darf. Es kann auch bedeuten, empfindsam zu sein für das, was einen Patienten auch psychologisch in der Gesundung umtreibt.

Könnte aber der Preis ein gesamtgesellschaftlicher sein, auch wenn dem Individuum scheinbar geholfen ist? Zum Beispiel, wenn ich "alternativen" Methoden einen Weg bereite?

Aber ich habe meinem Patienten doch geholfen, mag der eine oder andere Heilberufler einwerfen. Und mein Auftrag ist es doch, meinem Patient zu helfen, oder? Ich habe einen individuellen Behandlungsauftrag! Ich behandle nicht die Gesellschaft! Das rechtfertigt die Methode, oder? Der Zweck heiligt die Mittel?

Zudem dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht die Arroganz besitzen, die Entscheidung des Patienten über den eigenen Körper „abnehmen“ zu wollen. Die persönliche Freiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein hohes Gut. Immer wieder tun Ärzte gut daran, ihre Maßnahmen und Eingriffe auch als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu begreifen. Jeder Arzt kennt den Allgemeinplatz, dass schon die Blutentnahme eine Körperverletzung ist, die nur deshalb rechtens wird, weil sie einvernehmlich erfolgt. Aber er ist beispielhaft ein wichtiger und richtiger Allgemeinplatz. Was bildhaft und konkret mit dem Eindringen einer Nadel begreiflich zu machen ist, wird schon schwerer, wenn sich mit der Indikationsstellung von komplexeren Therapieansätzen, wie Medikamentengaben, Katheterisierungen oder gar Operationen auseinandersetzt werden muss. Erinnern wir daran, was Ärztinnen und Ärzte jeden Tag mehrfach machen: sie greifen in die Integrität des Körpers ein. Was für eine Verantwortung! Und das ist an dieser Stelle vielmehr mahnend, als beweihräuchernd gemeint!

Und am Ende? Der Patient ist zufrieden! Der Zweck heiligt die Mittel? Diese ethische Frage ist so alt, wie die Menschheit. Es gibt keine Lösung für dieses Dilemma.