Alternativmedizin

Auch auf die Gefahr des Vorwurfs einer semantischen Spitzfindigkeit: gibt es eine „Alternativ-Medizin“? Diese Frage hat zunächst nichts mit der „Arroganz der Schulmedizin“ zu tun. Nein, denn die Medizin umfasst eben alle Aspekte der Erkennung von Krankheiten und deren Therapie. Um bei der Semantik zu bleiben: in einer seriösen Betrachtung gibt es weder eine "Schulmedizin" noch eine "Alternativ-Medizin". Es gibt nur die Medizin. Und in dieser werden Methoden und Verfahren angewendet (und bewertet), die entweder einen Nutzen vorweisen können, oder aber nicht. Und diesem „Joch“ müssen sich eben alle Methoden und Verfahren unterwerfen. Wovor die Angst, mag man fragen? Warum das Abgrenzungsbedürfnis durch das Wort "alternativ"? Die „Schulmedizin“ schließt doch die Anwendung nicht-evidenzbasierter Methoden nicht pauschal aus. Sie verlangt aber Ehrlichkeit in der Benennung der Wirksamkeit. Spätestens auf Nachfrage. Die pauschale Rechtfertigung eines eben nachweislich nicht nützlichen Heilungsansatzes, ja sogar ganzer theoretischer Gedanken- und Philosophie-Welten durch die simple Umschreibung „alternativ“ birgt große Gefahren! Wenn führende Internetportale im Bereich der Gesundheitsinformation mit Slogans wie „Top in der Alternativmedizin“ werben, besteht ein grundsätzliches Problem in der Wahrnehmung von Gesundheit in unserer Gesellschaft. Allzu willfährig wird heutzutage mit dem Begriff „alternativ“ im Zusammenhang mit der Medizin umgegangen. Zu sehr werden unterschiedliche Ansätze in einen Topf geworfen. So wird nachweislich nicht wirksame Homöopathie in einem Atemzug mit einer wirkstoffbasierten Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) genannt. Und den Unterschied zwischen Bioresonanztherapie (Scientology) und Biofeedbackverfahren (anerkanntes Verfahren in der Schmerztherapie) erklärt man besser erst gar nicht. Nicht wirksame "anthroposophische" Methoden werden als „komplementärmedizinisch“ zusammengewürfelt mit gänzlich anderen naturheilkundlichen Methoden. Nur die Geduld und das ernsthafte Bemühen der Aufklärung ist dem entgegenzusetzen.

Der Grat zwischen dem, was einerseits ethisch nicht mehr vertretbar scheint und was wir andererseits, als Gesellschaft, einem dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichteten öffentlichen Gesundheitssystem erlauben dürfen, sollte eigentlich recht klar definiert sein. Ist er aber erstaunlicherweise nicht. Der Gesetzgeber räumt im Arzenimittelgesetz schon seit 1976 Homöopathie und Anthroposophie im sogenannten "Binnenkonsens" eine Sonderstellung ein. In dieser Stellung müssen die vorgenannten Wässerchen und Mittelchen bis dato keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen um ihren Arzneimittelstatus zu erhalten. Eine Novellierung ist hier überfällig! Staatlich geprüften und approbierten Ärzten kann man hier nur eine äußerste Sorgfalt in der Abwägung nahelegen, ob diese "Methoden" überhaupt zur Anwendung kommen sollten. Die zugestandene Therapiefreiheit bringt eine hohe Verantwortung mit sich.

 

Auch Krankenkassen müssen sich fragen, wo ihre Sonderleistungen eher populistisch anmuten und wo sie ihren Versorgungsauftrag vielleicht zu großzügig interpretieren. 

Es handelt sich auch vor allem um ein deutsches Phänomen. In keinem anderen Land der Welt ist der Zugang zu „alternativen“ Heilmethoden so niedrigschwellig, wie in Deutschland. In keinem anderen Land wird einzelnen Gruppen im Bereich des Gesundheitssystems so viel Freiraum gelassen, nicht-evidenzbasierte Ansätze in der Behandlung von Gesundheitsstörungen einzubringen. Diese Entwicklungen tragen aber andererseits zu einer „Pathologisierung“ von eigentlich natürlichen Vorgängen und Reaktionen des Körpers bei. Und hier wird es paradox! Natürlichkeit und Sanftheit werden gefordert. Soweit, so gut! Doch gleichzeitig rückt das Symptom in den Mittelpunkt. Und diese Symptom-Zentrierung gerät zum Wegbereiter und Katalysator für die angsthafte Bewertung von körperlichen Vorgängen. Für alles wird ein Mittelchen hervorgezaubert. Für jede Veränderung gibt es ein Kügelchen. Es gilt aber als ein Grundsatz der Medizin eben da, wo möglich, die Ursache zu behandeln und nicht nur das Symptom. Hier liegt auch ein öffentliches Missverständnis im Zusammenhang mit den „sanften Heilmethoden“. Wird gerade der Schulmedizin immer wieder vorgeworfen ein „Symptombekämpfer“ zu sein, hebt sie doch eigentlich die Bedeutung der Ursachentherapie immer wieder hervor. Sie benennt aber ehrlicher die Bereiche, in der eine ursächliche Therapie nun mal nicht möglich ist. Und das ihr hieraus "ein Strick gedreht wird" ist paradox.

 

Die sanftesten Heilmittel bleiben am Ende das Wort und die Zeit. Und sie begründen – so darf spekuliert werden – auch einen Gutteil des subjektiven Erfolges der „alternativen“ Heilmethoden. It‘s the Zuwendung, stupid!

Ärzte fühlen sich dabei oftmals abgehängt. Bürokratischer Aufwand und hohe Patientenzahlen sind in dem Zusammenhang oft beschrieben. Wort und Zeit sind hart zu erkämpfen!