10 Blocks

Warum ist mein Arzt 10 Straßen entfernt und nicht nur einen Klick? Eine aktuelle Frage aus der Werbung! Rechtfertigt die „Serviceidee“ eine solche Frage in der „Sache“ Gesundheit? Um eine solche Idee einmal auszuformulieren: schnelle Verfügbarkeit von Informationen zum Thema Gesundheit, keine Wartezeiten, Diagnose und Therapie werden gleichzeitig mit dem richtigen Medikament nach Hause geliefert. Convenience-Gesundheit könnte man so etwas nennen.

 

Noch einmal, wie auch schon an anderer Stelle in diesem Portal, sei erwähnt, dass Ärzte die digitalen Chancen nicht ausblenden dürfen. Nicht eine grundsätzliche Abwehrhaltung einnehmen dürfen. Und Servicegedanken dürfen natürlich auch im Gesundheitssystem gedacht werden.

Gesundheit ist aber keine reine Dienstleistung und sollte es auch niemals werden. Dieses Grundverständnis muss unumstößlich sein.

Transportieren wir Patienten die Notwendigkeit der schnellen Verfügbarkeit als entscheidendes Qualitätsmerkmal, dann laufen wir Gefahr, dass eben dieses Kriterium zu Lasten der sorgsamen Abwägung geht. Es schürt Ungeduld! Und die Ungeduld bleibt einer der größten Feinde in einer guten Behandlung!

Qualitätsmanagement ist auch (sogar per Auflage) in der Arztpraxis angekommen. Natürlich sollen wir ein Terminmanagement haben. Und um ein nettes Ambiente in unserer Praxis sollten wir auch bemüht sein. Qualitätsmanagement schafft hier aber nicht nur Verbesserungen in der Bequemlichkeit. Qualitätsmanagement soll vor allem auch eine Verbesserung der medizinischen Behandlung mit sich bringen! Es bezieht sich dann nicht nur auf reibungslose Prozesse, sondern viel mehr auf die Vermeidung von systematischen Fehlern. 

Ein eiserner Grundsatz der freien Marktwirtschaft besitzt im Übrigen bei der Gesundheit in einigen Situationen überhaupt keine Gültigkeit: „first come, first serve!“ Das wird den meisten spätestens seit dem Wörtchen „Impfpriorisierung“ klar sein. Es gibt aber natürlich etliche Beispiele, anhand derer vielmehr die Notwendigkeit von „biggest problem, first serve!“ verdeutlicht werden könnte. Das fängt bei der Abwägung an, ob ein Arzt zunächst einen Patient mit einem Schnupfen oder mit einer Blutdruckentgleisung behandelt. Es mündet schließlich im Beispiel einer Notaufnahme, in der im Rahmen eines hohen Verletztenaufkommens in Form einer Triage über die Priorisierung von lebensbedrohlichen Zuständen entschieden werden muss. Hier wäre bei begrenzten Ressourcen dann sogar die Selbstverständlichkeit aufgehoben, dass der bedrohlichste Zustand zuerst behandelt wird. 

Sicher, der Notfall ist immer ein Totschlagargument! Aber so ist das nun mal! Wer sich mit Mortalität auseinandersetzt, darf auch Totschlagargumente bemühen! Wir müssen erwarten können, dass Menschen verstehen, dass im Bereich Gesundheit Service nicht alles ist. Wir müssen nun mal auch Ethikfragen bemühen. Und erfreulicherweise erkennen das die meisten Patienten an!

Warum heißt er Hausarzt, wenn ich dafür das Haus verlassen muss? So wird weiter in der Werbung gefragt. Hier würde für Antworten auf diese Frage natürlich viel Raum für Süffisanz gelassen. Viel wichtiger ist aber die ernsthafte Antwort: Sie müssen das Haus nicht verlassen! Denn es ist ureigenste Aufgabe des Hausarztes, auch Hausbesuche durchzuführen. Freilich sollte das nur bei schwerer Erkrankung und Bettlägerigkeit zum Tragen kommen. Die Zunahme auch häuslicher Pflegefälle lässt aber deutlich erkennen, worauf wir eigentlich nicht verzichten können. Eine Lunge lässt sich eher schlecht im Chat abhorchen. Und das Notfallmedikament hat die Apotheke bestimmt vorrätig, der Arzt in seiner Arzttasche aber sicherlich auch! Und in diesem Fall ist die Arzttasche dichter am Patienten, als der Vorratsschrank.

Zwar mag die Praxis meines Hausarztes mehr als einen Klick entfernt sein. Ich kann seiner aber „habhaft“ werden! Die physische Präsenz bleibt weiter ein Grundprinzip der Seriosität. Natürlich sollte ich auch meinen mir bekannten Hausarzt vielleicht bald häufiger mit einem Klick erreichen können, in welcher Form auch immer. Der persönliche Ansprechpartner bei einem so emotionalen und lebensbestimmenden Thema, wie der Gesundheit ist aber kaum zu ersetzen. Es bleibt eine personengebundene Essenz, wenn es um Vertrauen, Verlässlichkeit, Erreichbarkeit geht. Und es geht auch um die Übernahme von Verantwortung. Die Möglichkeit mich zu meinen Gesundheitsfragen nicht immer neu erklären zu müssen. Und einen Ansprechpartner zu haben, wenn etwas in der Behandlung nicht so läuft, wie gewünscht.

Gesundheit neu denken? Grundsätzlich ja! Digitale Services nutzen? Ja! Aber bitte nicht mit plakativen (digitalen) Allgemeinplätzen!

Denn Ärzte tragen Verantwortung und sind auch bereit dazu. Ein Symbol hierfür ist das weiße Praxisschild, das mir anzeigt, wo ich meinen Ansprechpartner finde.